Als interessierte Bürger aus Friedrichshain wollten wir uns mal einen Eindruck verschaffen, wie die öffentlichen Angelegenheiten unseres Bezirks so verhandelt werden. Abgesehen von gelegentlichen Postings zu Einzelthemen hatte ich bisher die Bezirkspolitik nicht im Fokus – weder persönlich, noch in diesem Blog.
Mit der Idee, dass sich das ja ändern könnte, enterten wir also zu zweit das Raumschiff BVV – ein BISSCHEN vorinformiert durch das Studium der Tagesordnung, über die ich am Montag schrieb. Mehr als die Titel der Anträge waren leider nicht online, so dass wir von den zur Behandlung anstehenden Themen nicht viel wussten – mal mit Ausnahme von öffentlich großflächiger bekannten Mega-Themen wie die Initative Mediaspree versenken.
Wie man auf dem Bild sieht, sind die Fraktionen der BVV (fast) vollständig anwesend – sehr lobenswert angesichts dessen, was man z.B. in Sitzungen des Bundestags erlebt! Äußerst spärlich fanden sich dagegen Bürgerinnen und Bürger ein: außer uns waren während unseres etwa zweistündigen Besuchs ca. 10 Leute von der Media-Spree-Ini da, sowie noch zwei drei weitere Zuhörer.
So richtig wundert das nicht, wenn man in Betracht zieht, dass auch die vierte Gewalt (unserem Eindruck nach, denn niemand machte Fotos außer uns) durch Abwesenheit glänzte. Das war in den 80gern noch anders, da gab es noch Lokaljournalisten, die jede BVV aufsuchten und danach auch mal was dazu schrieben. (Damals war ich, noch in Kreuzberg wohnend, sanierungspolitisch aktiv und häufige Besucherin der BVV.)
Krass war übrigens die Hitze, die uns im BVV-Saal entgegen schlug: auf den obersten Bänken hielten wir es nicht aus und setzten uns weiter runter an die Balustrade. Es war so warm, dass eigentlich nur eine Bezirksverordnete im ärmellosen Sommer-Top „angemessen“ gekleidet war. Anzugjacken- und Pullorverträger konnten einem richtig leid tun! (Die – gewiss nicht ökologisch korrekte – Raumtemperatur macht müde und irgendwie „benebelt“. Nach gut zwei Stunden wurde mir so mulmig, dass wir wieder gegangen sind).
Haushalt 2010/2011 und eine Gedenktafel
Bezüglich der Themen, die wir in dieser Zeit mitbekamen, fiel auf, dass so ein wichtiger Punkt wie der „Entwurf des Bezirkshaushaltsplans für die Haushaltsjahre 2010 und 2011“ (SPD) ohne Diskussion vertagt wurde – wohl wissend, dass damit die durch den Senat angeordnete „vorläufige Haushaltswirtschaft“ andauert. (Das bedeutet, dass nur unbedingt notwendige Ausgaben zur Erhaltung bezirklicher Einrichtungen und gesetzliche Aufgaben und rechtliche Verpflichtungen erfüllt werden dürfen.)
Die Aufstellung eines Haushalts wurde schon in der letzten BVV (24.2.) abgelehnt, wozu es in einer Presseerklärung der GRÜNEN hieß: „Das Parlament von Friedrichshain-Kreuzberg hat es gestern Abend (Mittwoch) mit den Stimmen von Grünen, Linken, CDU und FDP abgelehnt, einen Bezirkshaushalt für die Jahre 2010 und 2011 zu verabschieden. „Wir können die Kürzungsvorgaben des SPD-geführten Senats für unseren Bezirk nicht verantworten“, sagt Daniel Wesener, Sprecher der Grünen-Fraktion. Damit unterliegt Friedrichshain-Kreuzberg weiterhin der Vorläufigen Haushaltswirtschaft durch die Senatsfinanzverwaltung.“
Was es mit dem in diese Sitzung eingebrachten SPD-Antrag auf sich hatte, konnte ich noch nicht ermitteln, denn auf den Bezirksseiten der SPD finden sich nur Anträge und Anfragen bis zum Februar. Jedenfalls bedauerte Bezirksstadtrat Dr. Jan Stöß (Abteilung Finanzen, Kultur, Bildung und Sport) von der SPD die Vertagung: so könnten nämlich auch keine frei werdenden Stellen im Bezirksamt neu besetzt werden.
Die ellenlange Diskussion über die Finanzierung einer Gedenktafel auf einem Sportplatz im Umfang von 5000 Euro, die der SPD offenbar sehr wichtig war (Details zu diesem Anliegen fand ich auf den SPD-Seiten NICHT!), erschien uns vor dem Hintergrund der immensen Einsparungsverpflichtungen des Bezirks als ein wenig weltfremd! Mehrere Bezirksverordnete von GRÜNEN und der LINKEN sahen das genauso, doch meinte der Stadtrat, wenn der Haushaltsantrag verabschiedet worden wäre, ließe sich auch die Gedenktafel finanzieren. Schon seltsam angesichts fehlender 6 Millionen Euro!
Kuschelrunde mit der Initiative „Mediaspree versenken“
Als wohl publikumswirksamster Tagesordnungspunkt folgte eine Diskussion rund um das gesamte Verfahren mit dem Bürgerentscheid „Mediespree versenken“.
Wir fanden es toll, dass die „offizielle“ Sitzung der BVV unterbrochen wurde, um dem Sprecher der Ini Carsten Joost für ca. 10 Minuten das Mikro zu überlassen. Die Verordnete blieben auch alle brav da und hörten sich an, was er zu sagen hatte. Joost lobte die BVV für die Art, wie man die Initiativ-Vertreter im Sonderausschuss nicht nur rede-, sondern auch stimm- und antragsberechtigt eingebunden hatte. Dass dabei dann doch nicht ganz so viel heraus gekommen sei, verschwieg er ebenfalls nicht (die Details würden diesen Beitrag echt sprengen!), forderte dann aber auf, nach vorne zu sehen und dran zu bleiben – wie natürlich auch die Ini „Mediaspree versenken“ dran bleiben werde.
Auch die Rede des Bezirksbürgermeisters Dr. Franz Schulz war geradezu liebevoll in Bezug auf die Initiative Mediaspree: man habe viel gelernt in der Zusammenarbeit und alles getan, um dem Bürgeranliegen weitestmöglich entgegen zu kommen. Und immerhin sei ja ein Riesenbüroturm verhindert worden! Er zeichnete noch einmal die Stationen der Auseinandersetzung und Befassung nach und arbeitete immer wieder heraus, dass es wesentlich an der Senatsverwaltung (insbesondere am mangelnden guten Willen der Senatorin für Stadtentwicklung Junge-Reyer, SPD) gelegen habe, dass nicht mehr vom Bürgerwillen umgesetzt werden konnte. Aber man werde natürlich weiter dran bleiben…
Von Seiten der CDU wurde dann zwar noch versucht, ein wenig gegen den allzu harmonischen Tenor anzustinken, doch war nun der Punkt erreicht, an dem ich es – wegen Hitze! – im Saal echt nicht mehr aushielt. Wir verließen die BVV, atmeten frische Märzluft und nahmen noch einen Imbiss im Chandra Kumari in der Gneisenaustraße. Die Speisen aus Sri Lanka, zubereitet aus Bio-Lebensmitteln, haben uns derart gut gemundet, dass ich hier ganz freiwillig und begeistert Werbung für den Laden mache: unbedingt empfehlenswert und MAL WAS ANDERES!
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