Es ist Sommer in Berlin, und schon sind sie da, überall, die verdammten Touristen. Sie laufen lärmend in Rudeln durch die Straßen, in denen wir leben und wohnen. Und nachts zu schlafen versuchen. Sie stehen ratlos auf den Fahrradwegen herum, auf der Suche nach einem Treffpunkt oder Ziel, in der leisen Hoffnung auf ein zufälliges Taxi vielleicht. Oder sie schleichen vierspaltig über die ganze Breite der wirklich breiten Berliner Gehwege, als seien die eigens für sie so gebaut worden. Friedrichshain wird dabei besonders heimgesucht. Die Zahl der Hostels hier ist enorm, die in Reiseführer verzeichneten „trendigen“ Straßenzüge, Läden und sonstige Lokalitäten nicht mehr zählbar, und überhaupt scheint der Kiez mittlerweile für die Abschlussklassenfahren sämtlicher europäischer Abschlussschulklassen ein Muss zu sein. Es gibt Tage, da ist das unübersehbar.
Menschen machen Lärm
Selbstverständlich ist das vorwiegend Blödsinn, so wie die allgemeine Beschwörung der sich stetig ausbreitende Rollkofferrollenplage. Natürlich gibt es diese nervigen, scheppernden Geräusche zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch hier bei mir. Na und?! Es gibt auf jeden Fall Schlimmeres. Die Getränkelieferungen für den Eckkiosk zum Beispiel, der mehrmals wöchentlich auf Europaletten über das Kopfsteinpflaster gepoltert wird. Und der halbwüchige Junge aus der Nachbarschaft, der jeden Nachmittag direkt unter meinem Balkon mit dem Skateboard übt. Außerdem sind Touristen immer in Berlin, nicht nur zur Sommerzeit, Berlin ist zu jeder Jahreszeit gefragt. Anlässe gibt es schließlich genug, Berlin ist attraktiv und beliebt, und zwar in jedem Jahr ein bisschen mehr. Das freut mich, denn ich finde es gut, in einer solchen tollen Stadt leben zu dürfen. Mal so grundsätzlich gesprochen.
Was tun mit den Gästen?
Die Kampagne Berlin doesn’t love you (1. Bild) spricht allerdings eine andere Sprache, die Alteingesessenen unter den Zugezogenen motzen und meckern wie die echten Berliner. Auch im aktuellen Tip geht man der Sache auf den Grund und stellt treffsicher fest:
Und wenn Reisebusse Touristengruppen durch sogenannte Problemviertel fahren oder Berlin-Besucher schnell in Geschäfte laufen, ein Foto machen und rasch wieder verschwinden, degradiert das uns Berliner zu Ausstellungsstücken und Zoobewohnern. Wer an einem Sommerabend müde von der Arbeit kommt und dann in der Tram oder U-Bahn von großen Cliquen beschwipst-enthemmter Party-Urlauber umringt wird, braucht kein dogmatischer Tourismus-Kritiker sein, um sich zu fragen: Wem gehört diese Stadt eigentlich?
[Ach, da ist sie ja schon wieder, diese Frage.]
Lesenswert ist auch die Analyse im Mieter Echo, den Magazin des Berliner Mietergemeinschaft e. V. Dort wird der Berliner Ballermanntourismus in einem politischen Zusammenhang betrachtet, insbesondere mit Blick auf den Klimaschutz und das Problem der Ferienwohnungen:
Einmal mehr sind die Gästezahlen in Berlin rasant gestiegen – im Februar 2012 um 13% gegenüber dem Vorjahresmonat, wie das Amt für Statistik meldet. Sind Paris, Rom oder London Anziehungspunkte für romantisch, kulturhistorisch oder geschäftlich orientierte Reisende, strahlt Berlin mit Ballermannqualitäten weit über die Landesgrenzen hinaus und hat für pubertierende Jugendliche Mallorca längst den Rang abgelaufen.
In seiner Erklärung zu den „Richtlinien der Regierungspolitik“ bestätigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Januar, dass diese Entwicklung weiterverfolgt werden soll: „Der Senat wird die Tourismusförderung fortsetzen und die ambitionierte Zahl von 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr in den nächsten Jahren auch erreichen.“ Die Grundlage der Tourismusförderung stellt das „Tourismuskonzept 2011“ dar, das vom Vorgängersenat unter der Leitung des ehemaligen Wirtschaftssenators Harald Wolf (Die Linke) erarbeitet wurde. Laut diesem Konzept sind die Wachstumstreiber der Tourismusbranche Billigflieger und Billigunterkünfte. Der neue Flughafen, der in wenigen Wochen feierlich eingeweiht werden wird, ist auf 45 Millionen Passagiere jährlich ausgelegt.
Gut, das mit der Aussetzung der Eröffnung des Flughafen steht inzwischen längst wieder auf einer ganz anderen Liste der Unzulänglichkeiten. Aber davon konnte ja das Maiheft des Mieter Echo beim Druck noch nichts ahnen.
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