Mathias Richel hat in seinem Blog „Politik und anderes Dings“ unter dem Titel „Keine Zeit für Fehler“ beklagt, dass sich die derzeit so erfolgreichen Piraten intern eben keine Zeit geben:
„Da wird sofort zurückgeschossen, auf Twitter zurückgemeint, auf Presse-Anfragen zu “ihr Mitpirat hat das und das gesagt – Wie ist denn ihre Meinung dazu?” sofort geantwortet – aus allen digitalen Rohren werden die Stellungen befestigt.“
Erwartet Richel etwa, dass die Piraten das Diskutieren und „eigene Meinung posten“ aufgeben und künftig immer hübsch brav die Gremienbeschlüsse abwarten? Sollen sie still bleiben, wenn der Parteivorsitzende etwas sagt, was ihnen nicht passt, nur deshalb, weil der Parteivorsitzende geprochen hat?
Ich denke, DAS ist es sicher nicht, was sich Sympatisanten und neue Wähler von den Piraten wünschen. Und hab‘ mich spontan zu einem ellenlangen Kommentar hinreissen lassen, den ich zur Doku (und wenn gewünscht, zur Diskussion) jetzt mal hier einstelle:
Claudia sagt am 6 Okt ’11 um 09:27
Ich finden die Kritik übertrieben. Ein solcher Wahlerfolg für eine im Politikgeschäft nicht besonders erfahrene Truppe bringt es zwangsläufig mit sich, dass es in der ersten Zeit öfter mal knirscht – erst recht, wenn man sich eben nicht auf die Gebräuche der etablierten Parteien einlassen will, die “das Volk” in wachsenden Teilen so unsäglich anöden.
Wer will denn die glatten Politikerreden haben, die vor allem deshalb oft so nichtssagend sind, weil sie keinen Flügel vergrätzen, kein Gremium vorweg nehmen und keine Kritik von Presse und Bürgern riskieren wollen?
Da ist es doch vergleichsweise in Ordnung, wenn man statt dessen mitbekommt: da sagt ein “Ober-Pirat” was, was der Parteibasis oder Teilen davon nicht passt – und schon wird das auch mitlesbar ausgetragen…Die Piratenpartei hat aufgrund ihres anderen Politikverständnisses (Transparenz, Mitsprache etc.) auch mehr Schwierigkeiten, eine eigene Form des “Business as usual” im Parlamentsbetrieb zu entwickeln. Es ist zwar eine edle Idee, immer nur öffentlich zu tagen, in der Praxis BRAUCHT es aber auch mal Treffen, in denen man ohne Blitzlichtgewitter und Presse-Beobachtung Strategien und Taktiken diskutieren kann – und wenn man dem keine offizielle Struktur gibt, dann entwickeln sich eben “Kungelrunden” in Kneipen und am Telefon (das hab ich selbst in den 80gern bei der Alternativen Liste, Vorläufer der GRÜNEN erlebt, die ebenfalls mit diesem Anspruch angetreten sind).
Dass die Piraten derzeit bei Pressekonferenzen und anderen Auftritten keine Antworten auf diverse Mega-Themen haben, finde ich nur zu verständlich – und sympathisch, dass sie es auch so sagen!
Allerdings wünsche ich mir, dass sie die Gelegenheiten ergreifen und aktiver eigene Inhalte einbringen: also die Themen, zu denen bereits Meinungen vorliegen oder zumindest ein berichtenswerter Stand der Diskussion. (Wie IST der eigentlich bezüglich der aktuellen Aktivitäten der Datenschützer gegen Facebook-Fan-Seiten und Like-Buttons?)
Und: “Bei uns ist alles online, aber man findet nichts” sagte kürzlich ein Berliner Pirat. Ja, das ist ein großes Defizit, das Web-Wirrwarr der Piraten erfüllt das Versprechen derzeit nicht, dass man da “mitwirken” könne, auch ohne Parteimitglied zu sein. Unzählige Seiten, Parteigliederungen, Crews, Foren, Blogs und natürlich irgendwo auch “Liquid Democracy” (das nicht für den Normalbürger erläutert wird, sondern eine technische User-FAQ dem Informationshungrigen zur Ansicht bringt). Ich hab‘ schon ein paar mal ein paar Minuten rumgesucht auf der Suche nach dem virtuellen Ort, wo die Berliner Piraten Aktuelles diskutieren – vergebens. Jede Menge Seiten, die auf andere Seiten und Gliederungen verweisen, ein wirres Web, das den einfachen Informationsbedürfnissen nicht-interner Interessenten einfach zu wenig bietet.
Man glaubt es kaum, dass die Netz-affinste Partei Deutschlands online fast so unergonomisch ‘rüber kommt, wie heutzutage das Usenet wirken würde, wenn es noch jemand ansähe!
Trotzdem: gut, dass es sie gibt!
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