Da die hier verlinkte Liste nicht mehr sehr aktuell ist (ein langer Atem ist vieler Blogger Sache nicht), hatte ich mich auf die Suche nach aktiven Berlin-Blogs gemacht, um die die Lücken füllen. Über berlinstreet.de fand ich so B Like Berlin. Schon das Kopfbanner lässt ahnen, dass Lebensfreude hier nicht Thema ist:
„Meine Reise zum Ende der Welt“ titelt der Startseitenbeitrag, der – wie ich später merkte – der einzig verbliebene Artikel dieses seltsamen Blogs ist. Er stammt vom 15.September 2011 und beginnt so:
Wenn dieser Beitrag im Blog auftaucht bin ich abgetaucht. Im wahrsten Sinne. Der Beitrag war ausreichend vordatiert, so dass ich genügend Zeit hatte, meinen Plan umzusetzen – oder den Text wieder zu löschen.
Was folgt, ist hochgradig deprimierend – und auch erschreckend! Da reist jemand ans Ende der Welt, dorthin, „wo die Erde aufhört und das Meer beginnt„. Nach und nach wird mir klar: dies ist eine Abschiedsrede! Der unbekannte Blogger, über den sich keinerlei Infos auf den Seiten finden, hat vor, sich über eine hohe Klippe in den Tod zu stürzen. Das letzte Posting hat er vordatiert, so dass es nach seinem Tod automatisch veröffentlicht wurde.
„Am 5. September bin ich in Berlin losgefahren, am 7. September bin ich hier angekommen, heute ist der 14. September. Seit einer Woche bin ich jetzt hier. Hier ist der Sommer, den es in Berlin nicht gab. Die Temperaturen liegen jeden Tag um die 30 Grad und am Himmel sind nur selten ein paar Schleier zu sehen.
Es gibt mir ein paar letzte schöne Tage zum Abschluss. Galao und Natas, frischer Fisch zum Abendessen, Spaziergänge auf den Klippen, stundenlang auf das Meer hinaussehen. Überraschenderweise hört man hier mehr deutsche Laute als in den Straßen von Prenzlower Boerg oder Mitte, aber man muss sich nicht zu erkennen geben. Weil Sagres in einem Naturpark liegt ist es von den großen Hässlichkeiten wie in Albufeira oder Portimao verschont geblieben. Es ist sehr schön hier.“
Klingt fast wie eine normale Reisebeschreibung – und gerade DAS, dass er nämlich durchaus noch in der Lage ist, „schöne Tage“ zu erleben und doch bei seinem Entschluss bleibt, ist für mich so erschreckend!
„Ich will es nicht weiter hinauszögern, heute wird Schluss sein. Das bezahlte Zimmer wird die letzte Nacht leer bleiben und ich werde an einer der drei Stellen, die ich ausgewählt habe, den einen Schritt machen, der viele Meter in die Tiefe führt. Meinen letzten Schritt. Der untergehenden Sonne hinterher.“
Die Festplatte mit seinen Bildern hat er mitgenommen, wie aus dem weiteren hervor geht. Warum, warum, warum? Ich will das jetzt wissen und lese weiter:
Gedanklich begonnen habe ich meine letzte Reise vor zwei Monaten. Vor mehreren Jahren habe ich schon einmal darüber nachgedacht, welchen Weg, welches Mittel ich wählen könnte. Sicher, schnell und ohne lange zu leiden. Das ist der Grund, weshalb ich dieses Mal ziemlich schnell wusste wohin. Google Earth ist außerdem sehr hilfreich bei der Auswahl.
Nein, es gibt niemanden, der Schuld daran hat, zumindest niemand alleine. Es gab einige, die nicht richtig hingehört haben. Das schon.
Er ist 55, also kein jugendlicher Verzweifelter. Spricht von Tiefschlägen, Rückschlägen, Pech, Perspektivlosigkeit, von nachlassender Kampfkraft und vom Verlust an Energie. Dass er keinen Kontakt zu seinen erwachsenen Kindern hatte, hat ihn auch gequält. Und ganz zuletzt benennt er doch noch konkrete Personen, die zu seinem Unglück beigetragen hätten:
Das ist zum einen der kleine Urenkel Quasimodos aus dem Finanzamt, (nur dass dieses fiskalische Exemplar weniger Menschlichkeit zeigt, als das Original). Vielen Dank für die fiskal-fundamentalistische Terror-Folter.
Und mein neuer „Kundenbetreuer“ im Jobcenter. Mit Kettchen und Hemd über der Hose und eindeutiger NVA-Attitüde. Eine Arbeit kann er mir auch nicht bieten. Aber Druck machen, mich fertig machen, um dem Staat Geld zu sparen.
Beide können jetzt ihre Aktendeckel schließen. Wenn der erste nicht so idiotisch gehandelt hätte, hätte der zweite mich nicht mehr kennengelernt. Vielleicht kann jemand dafür sorgen, dass sie es erfahren – im Finanzamt Charlottenburg und im Jobcenter Kreuzberg.
Ob sie es wohl erfahren haben? Ich fühle mich aufgewühlt und verstört. Und will mit diesem Eintrag an den unbekannten Blogger BLikeBerlin erinnern, der die Härte des Lebens nicht ausgehalten hat. Denn es ist ja ungewiss, wie lange das bei WordPress.com gehostete Blog noch bestehen bleibt. Als Spur und Vermächtnis – und auch als Aufforderung, zuzuhören, nicht wegzusehen, zu erkennen, wenn jemand Hilfe braucht – und nicht die nächste sinnlose Maßnahme, um wieder „fit für den Markt“ zu werden.
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